„Welchen Verein hast du vor 2009 unterstützt?“ und viele weitere, sinnlose Fragen auf dem Prüfstand

Als am 19. Mai 2009 aus dem Nichts RasenBallsport Leipzig gegründet wurde, verließen viele Leipziger Fußballfans ihren Verein und schlossen sich dem Konstrukt aus Fuschl am See an. Die Mitgliederzahlen sanken ins bodenlose und ein großer Traditionsverein nach dem nächsten musste Insolvenz anmelden. Die vormals Traditionsfans, die jeden Abstieg, jede Neugründung und jede Ausschreitung mit ihrem Verein durchstanden, suchten auf einmal den schnellen Erfolg und die große internationale Bühne.Kaputter Fußball
RasenBallsport Leipzig ist, nicht erst seit dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte (Gewinn des DFB Pokals 2022), das Hassobjekt vieler selbsternannter Fußballretter. Das erste Spiel, welches am 08. August 2009 gegen den FC Carl Zeiss Jena II, endete 1:1. Vor 800 Zuschauern profitierte RB Leipzig von einem Eigentor zwei Minuten vor Spielende. Die Zuschauerzahl stellte in dieser Saison für die Zweite von Jena die höchste Zuschauerzahl dar (Schnitt 287) und nur die Auswärtsspiele gegen die anderen Leipziger Vertreter (FC Sachsen Leipzig und 1. FC Lokomotive Leipzig konnte Carl Zeiss Jena vor mehr Zuschauern bestreiten.

RB Leipzig zog bereits damals die Massen, aber nicht die Traditionsretter an: Wenn es auch bei einigen Spielen mitunter nicht ganz so niveauvolle Banner gab, so hielt sich besonders das mediale Echo zurück. Im Durchschnitt verfolgten 1972 Zuschauer die Partien vom neu gegründeten Leipziger Verein (Lokomotive Leipzig: 2899; Sachsen Leipzig 2235). Bei einem Zuschauerschnitt von 836 in der Oberliga Süd ist dieser Wert mehr als respektabel.

Der große Hass kam erst durch die Aufstiege in den folgenden Jahren und wuchs immer mehr an. Anfangs genügte es den Anhängern von anderen Vereinen mit Plakaten, Bannern oder Gesängen den Support der eigenen Mannschaft zeitweise gegen den Protest einzutauschen. Der bisher dunkle Höhepunkt sind die Vorfälle rund um das zweite Aufeinandertreffen zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig am 04.02.2017. Dieser Tag ist fest im Gedächtnis vieler Anhänger verankert und wurde von vielen Seiten verurteilt. Es gibt aber auch die anderen Blicke auf die Geschehnisse und viele Relativierungen.

Neben diesen „Ach das war gar nicht so schlimm“, müssen sich Fans von RasenBallsport Leipzig fast täglich, besonders in sozialen Medien, Anfeindungen, aber auch dummen Fragen stellen:

„Wo warst du vor 2009“ – Muss man vorher Fan von einer Mannschaft gewesen sein oder kann man nicht erst durch RB Leipzig die Liebe zum Sport oder einer bestimmten Mannschaft entwickelt haben? Viele waren vorher bei Lok Leipzig, Chemie, Sachsen Leipzig, roter Stern oder Leipzig-Leutzsch, aber vielleicht war man da nur als Zuschauer und nicht als Fan? Oder man musste seinem „eigentlichen“ Verein den Rücken zukehren? Auch wenn Fanausschreitungen, Pleiten oder „Herausforderungen“ mit rechtspopulistischen Fans natürlich kein Grund zur Abkehr sein kann.

Wenn man heute Fan von einem der großen Leipziger Vereine werden würde, wäre man auch nur ein Erfolgsfan? Immerhin spielen Lok Leipzig und Chemie Leipzig in der vierten Liga (Stand 2022/2023) und damit eine Liga höher als RB Leipzig damals. Zudem haben beide Vereine nur eine unwesentlich längere Geschichte, wenn man Insolvenzen, Markenschützung und andere Absurditäten außen vor lässt. Wie viel ist denn noch vom echten Verein „1.FC Lokomotive Leipzig“ vorhanden? Mitarbeiter? Spieler? Es gibt Fans, die seit Jahrzehnten dabei sind, aber hier auch zwischenzeitlich andere Vereinsnamen auf ihren Fanutensilien stehen hatten.

Allianz Arena in Regenbogenfarben
Statement oder nur für’s Image? Wissen kann man es als Fan nie.

Selbstverständlich kann man auch heute noch Anhänger eines „kleineren“ Vereins sein, dort fleißig Mitgliedsbeiträge zahlen und sich von Versammlungen, bei denen man nicht einmal die Getränkepreise bestimmen kann, fernhalten. Gerade bei Vereinen, die mehrere Zehntausend zahlende Mitglieder haben, geht es den meisten nicht um die Mitbestimmung, sondern um andere Dinge. Es ist praktisch, dass man vergünstigt Eintrittskarten erwerben kann und natürlich kann es einen gewissen Stolz auslösen, wenn man sich als Mitglied von Verein XY vorstellt. Am Ende ist die Mär von Mitbestimmung eben nur genau das: Man ist eine Zahl. Man ist Mitglied 48579 und die eigene Meinung ist genauso wenig wert, wie diese Zahl. Nur als Teil einer großen Masse, die sich auf etwas einigt, könnte man etwas erreichen, aber hier zeigt sich an jüngsten Beispielen, dass diese Masse nicht existiert oder doch die finanziellen Zielen, die wichtigsten Ziele sind. Der Fußball‑Club Bayern München e. V. verdient mit und an Katar bzw. dem Sponsoring von Qatar-Airways zweistellige Millionenbeträge und kann oder will auf dieses Geld, auch wenn die eigenen Mitglieder dies gern hätten, nicht hierauf verzichten. Fraglich ist, ob die rund 300 000 Mitglieder, wenn sie sich Mehrheitlich dafür entscheiden würden, dass Sponsoring kippen könnten.

„Wieso will man nicht Mitglied sein?“ ist damit wohl auch beantwortet. Muss man Mitglied sein oder reicht es nicht aus, wenn man „nur“ Fan ist und seine Freizeit für die Mannschaft opfert? Ist man ein besserer Fan, wenn man monatlich Summe X an Beiträgen zahlt?

Gern vorgetragen wird aber auch der Vorwurf, dass man nur einem Nazi aus Österreich hinterherrennt. Zunächst einmal rennt man als Fan weniger und klatscht, singt und jubelt man im besten Fall. Zudem gibt es keine Liste oder ähnliches, auf der alle offiziellen Nazis aufgeführt sind. Man kann zwar jemanden aufgrund einer Äußerung als Nazi betiteln, sollte dies aber schon gut verargumentieren können. Nicht umsonst gab es schon Gerichtsverfahren wegen solchen Titulierungen und selbst wenn Dietrich Mateschitz ein Nationalsozialist wäre, kann man einen Menschen von einer Firma, die einen Verein mit Geld unterstützt (oder gar finanziert) trennen. Man muss es sogar in sehr vielen Bereichen und auch abseits vom Fußball oder ist sich ein Arbeitnehmer, der in einem Unternehmen mit mehreren tausend Angestellten arbeitet, sicher, dass der Unternehmensbesitzer nicht in seiner Freizeit gern den rechten Arm hebt? Und überhaupt: Wieso darf Uli Hoeneß gegen Kritiker pöbeln?

Bleiben wir einmal bei Mateschitz und Red Bull: Was macht RasenBallsport Leipzig, wenn Mateschitz keine Lust mehr hat und den Geldhahn zudreht? RB Leipzig hat inzwischen viele verschiedene Geldquellen (manch einer nennt es einfach Sponsoren) und zudem wäre es für das Image von Red Bull fatal, wenn man sich „einfach so“ zurückzieht. Angeblich ist das Image und die damit verbundene Markenpositionierung das wichtigste für eine Firma und wieso sollte Red Bull jetzt, wo sich die geldliche Unterstützung endlich auszuzahlen scheint, abspringen? Überdies bestehen Verträge und es bleibt noch eine große Frage: Wieso beschäftigen sich Traditionsretter mit der Möglichkeit des Endes von Red Bull bei RasenBallsport Leipzig? wünscht man sich das oder möchte man sich mit den potentiellen Problemen des eigenen Vereins nicht auseinandersetzen? Generell ist es gar nicht so verkehrt, wenn man zunächst vor seiner eigenen Haustür kehrt (5 Mark ins Phrasenschwein) und sich nicht mit anderen Dingen davon ablenkt beziehungsweise ablenken lässt. Im eigenen Verein, in dem man Mitglied ist, kann man selbst viel erreichen und das schadet am Ende dem bösen Konstrukt RB Leipzig am meisten. Wenn alle anderen top Scouting an den Tag legen, ihre Finanzen im Griff haben und jedes Spiel gewinnen, gibt’s für RB nichts mehr zu holen. Wenn sich aber immer mehr Leute mit anderen Schauplätzen beschäftigen, können kleine Probleme unbemerkt zu großen Problemen werden.

Red Bull Dose
„Scheiß Red Bull“, weil’s nicht schmeckt!

„Ihr macht unser’n Sport kaputt!“, aber wer ist ihr und wieso dauert das so lange? Seit 2009 müsste RasenBallsport Leipzig den Fußball zerstören, aber irgendwie nicht wirklich erfolgreich. Was genau macht Fußball aus und ist nicht schon vieles kaputt gegangen? Die WM findet im Winter statt und das Gastgeberland erachtet Menschenrechte als flexible Leitplanken. Wie sehr kann ein einzelner Verein da wirklich noch etwas zerstören? Und wie soll das aussehen? Wäre der Fußball kaputt, wenn RB Leipzig 10 Jahre in Folge Meister werden würde? Wenn ja, dann gibt es schlechte Nachrichten und auch, wenn RB Leipzig alle guten Spieler von allen Vereinen kaufen würde, wäre das doch okay, weil bei RB nur Söldner spielen und Söldner will man ohnehin nicht im eigenen Verein. Dann müsste man sogar noch dankbar sein, wenn diese Spieler dank RB weg sind.

Wie bereits oben erwähnt, wurde RB Leipzig 2009 gegründet und die Tradition kann demzufolge noch nicht vorhanden sein. Tradition ist die Weitergabe von Werten und Bräuchen über Generationen hinweg und jeder kennt den Brauch, dass Bayern München Meister wird und die Werte „Toleranz und Weltoffenheit“, für die jeder Verein eintritt. Im Umkehrschluss heißt das Pochen auf Tradition aber auch, dass man nur Fan von einem Verein sein kann, der sehr alt ist. Jeder Verein, der in einer Stadt, in der es bereits einen Verein gibt, gegründet wurde, ist überflüssig. Wieso sollte man auch von diesem Verein Fan sein, wenn man schon vom älteren Verein ist bzw. sein muss? In München darf man eigentlich nur von „Rasensportarten Terra Pila“ (Gründung 1896) Fan sein. Alle anderen Vereine haben – im Vergleich zu Rasensportarten – keine Tradition beziehungsweise alle nachfolgenden Vereine sind keine Traditionsvereine (bei der Gründung gewesen). Zugegebenermaßen klingt Rasensportarten Terra Pila nicht nach einem Verein, dessen Namen man im Fußballstadion gut rufen kann und auch RasenBallsport Leipzig klingt für viele Ohren wie ein Wort, welches nur ausgedacht wurde, damit die Abkürzung RB Leipzig sein kann und RB wiederum kann nur für Red Bull und nicht etwa für RasenBallsport, Regionalbahn, Reisebus oder Regula Benedicti stehen. Was man genau mit einer Abkürzung verbindet, hängt zunächst vom Kontext ab und von der eigenen Sozialisierung. Wer stets RB zu Red Bull sagte, wird auch bei RB Leipzig Red Bull Leipzig lesen und wer sich schon als Kleinkind für Züge interessiert hat, liest wohl zunächst Regionalbahn Leipzig und wundert sich über den zweiten Triebfahrzeugsverein in Leipzig. Gleiches gilt auch für weitere Abkürzungen: TV steht selbstverständlich für Television und nicht für Turnverein, außer man kann dies in einen Zusammenhang setzen. Wenn man also RB Leipzig als Red Bull Leipzig liest, so ist dies vielleicht auf cleveres Marketing, ganz sicher aber auf fehlende Einordnung zurückzuführen. Früher war das zum Glück anders: Chio Waldhof 07 konnte man genauso lesen, wie es gedacht war und wer verbindet nicht auch noch heute gern Waldhof Mannheim mit knusprigen Kartoffelprodukten? „Gummi Mayer Landau“ war bis 1979 ein bekannter Gast im regionalen Fußball, wobei nicht ortskundige Besucher bei Gummi Mayer vielleicht nicht an einen Reifenhersteller denken konnten, aber das ist ja nicht das Problem vom Verein. RasenBallsport Leipzig ist zudem nicht der einzige Vertreter des RasenBallsports, hätte sich aber auch einfach Club für Ballspiele (CfB), Club für Rasenspiele (CfR), Fußballclub Rasensport (FCR) oder gar Ballspielverein (BV) nennen können. RasenballSport Lingen, Rasenballsport Heidelberg und RasenBallsport Waffensen fanden es bestimmt auch gut, wenn nicht jeder bei RB an Red Bull denken würde oder steht hier das RasenBallsport auch für Red Bull?

Was fallen euch noch für Fragen, aber auch Beleidigungen ein? Der Kommentarbereich ist der perfekte Ort für einen gesitteten Austausch.

Für Leipzig. Für RB. Für rot-weiße Fankultur.

Quellen:
Zuschauerzahlen Sachsen Leipzig 2009/2010
Zuschauerzahlen Lok Leipzig 2009/2010
Zuschauerzahlen RB Leipzig 2009/2010
Einnahmen Qatar-Airways-Sponsoring
Artikel zur Aussage von Hoeneß gegen Michael Ott
Wikipedia-Artikel zum 1. Münchner FC 1896

6 Kommentare zu “
„Welchen Verein hast du vor 2009 unterstützt?“ und viele weitere, sinnlose Fragen auf dem Prüfstand

  1. Ich ignoriere diesen Scheiß nur noch. Eine Diskussion bringt eh nichts und die Hater wollen auch keine Antworten und nur ihre Meinung durchboxen.

  2. Wenn Red Bull nicht die Millionen gibt, dann wäre es Katar und das will wirklich niemand. Die ganzen Traditonsretter sollten sich um ihr eigenes Team kümmern und die Klappe halten. Als würde jemand nicht mehr zu RB gehen, weil Halbstarke dumme Banner hochhalten.

  3. Es ist die Angst vor neuer Konkurrenz und das Gefühl gegen das Böse zu kämpfen. Auch wenn es im „eigenen Verein“ schlimmere Probleme gibt.
    Wie heißt es doch so schön „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“

  4. Für mich und meine ganze Familie ist unser RBL die Plattform um den Fußball Sport, mit unseren neuen und alten Freunden, zu folgen. Ob Heim oder tolle Auswärtsspiele aber immer ein großes Treffen von mit Stolz erfüllten Anhängern.
    Zu Hause bin ich über 10 Jahre Nachwuchstrainer und kann an der Basis etwas bewegen.
    Dies alles gehört zu diesem tollen Sport.

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